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Kastrationsangst? – Warum Frauen Hosen tragen, aber Männer keine Röcke

Dieser Artikel erschien im März 2019 im anarchafeministischen Magazin Nebenwidersprüche Vol. 2, S. 71. Diejenigen, die in diesem Text über für sie unbekannte Begrifflichkeiten stolpern, finden (voraussichtlich) im Glossar der „Nebenwidersprüche“ eine Erläuterung.

Als vor etwas mehr als zehn Jahren an meiner Schule ein „Geschlechtertausch“-Verkleidungs-Motto einen Tag lang Sehgewohnheiten auf den Kopf stellte, musste ich feststellen, dass es als Mädchen ((Ich verwende hier die Geschlechterbezeichnungen jungs und Mädchen, wie ich sie damals verwendet habe und wie ich damals meine Mitschüler*innen wahrgenommen habe. Mir waren damals weder trans noch nicht binäre oder inter Identitäten bekannt. Dass ich sie in diesem Text immer noch verwende, liegt daran, dass es mir in diesem Text um die Geschlechterrollen und die ihnen anhaftenden Kleiderordnungen geht, die bis heute in Feminin und maskulin eingeteilt werden. Dabei sind trans Menschen ebenso Teil meiner Überlegungen, denn auch trans Frauen und männer unterliegen dem Druck, einer bestimmten Kleiderordnung zu folgen, manchmal sogar stärker, da ihnen die Mitglieder unsere Gesellschaft häufig die Anerkennung ihrer Geschlechtsidentität verweigern (sogenanntes Passing). Ich werde im Verlauf des Textes auch auf Besonderheiten in der Situation von trans Personen eingehen.)) schwieriger war, gender trouble herzustellen, als als junge. Die Aufgabe, mich als junge zu verkleiden, der ich mit Freuden nachkam, gestaltete sich als schwierig. Einfach nur eine Hose anzuziehen machte mich nicht männlicher, auch ein Hemd anzuziehen und sogar eine Krawatte änderten nichts. Ich schminkte mich eh nicht, also konnte ich nicht einmal durch das Nichtschminken mein Aussehen verändern, und mir die Haare abschneiden wollte ich jetzt auch nicht. Die jungs haben es viel leichter, dachte ich damals verärgert und so war es auch: Es war beeindruckend, wie sehr ein kurzer Rock, Nylonstrumpfhosen und etwas Schminke die jungs meiner Klasse veränderte. Was ich damals dabei höchst erstaunlich fand, war festzustellen, wie gut auch jungs Mädchenkleider standen. Diese Erkenntnis machte mich traurig darüber, dass jungs keine gesellschaftlich anerkannte Möglichkeit außer Fasching hatten, z. B. hohe Schuhe und kurze Röcke zu tragen, wenn sie denn Lust darauf hatten, und das, obwohl es ihnen genauso stand. Damals dachte ich mir: „Wir Mädchen sind befreiter als die jungs. Wir können Hosen tragen, ohne dass es irgendwem auffällt. Aber die jungs haben sich das Recht noch nicht erkämpft, einen Rock tragen zu dürfen, dabei sieht es an ihnen genauso gut aus wie an uns die Hosen.“ Grundsätzlich halte ich meine damalige Erkenntnis auch heute noch nicht für falsch. Während Frauen seit Jahrzehnten, ja Jahrhunderten dafür kämpfen, dass die männer anerkennen, dass sie zu denselben Sachen in der Lage sind wie sie, ist es bis heute undenkbar, dass männer dafür streiten, Weiblich Konnotiertes zu leben, zu zeigen und sich aneignen zu dürfen.

Warum aber gibt es – im Gegensatz zur Frauenbewegung – dafür keine relevante Bewegung? ((Dieser Text behandelt das Thema in der weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft. Zwar gibt es bestimmt viele Parallelen und Übereinstimmungen mit anderen Gesellschaften und zu bestimmten gesellschaftlichen Gruppen, die in Deutschland eine marginalisierte Minderheit sind, ich berücksichtige diese und besonders Unterschiede zu der Situation in der weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft in diesem Text aber nicht. Vermutlich lässt sich in den meisten Gesellschaften eine Unterscheidung in Weibliche und in männliche Kleidung feststellen und eine Abwertung der Weiblichen Kleidung in dieser Dichotomie. Jedoch weiß ich dazu leider nicht genug und es bedürfte einer aufwendigen Recherche. Deshalb beschränke ich mich auf meine eigenen Erfahrungen im Herzen der weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft.)) Zwar haben Schwulen- und Transbewegungen sowie die Drag(-Queen)-Szene einiges erreicht. ((Auch wenn ironischeweise eine Folge dessen auch ist, dass männer, die Weiblich konnotierte Kleidung tragen und Weiblich konnotierte Verhaltensweisen an den Tag legen, grundsätzlich als schwul, Drag Queen oder trans wahrgenommen werden und dass es für (cis hetero) Menschen unvorstellbar ist, dass cis hetero männer Weibliche Kleidung tragen wollen oder Weiblich Konnotiertes leben wollen könnten. Eine solche Verknüpfung ist in unserer homo-, trans- und queerfeindlichen Gesellschaft natürlich auch nicht förderlich, damit cis hetero männer es wagen bzw. überhaupt den Wunsch verspüren, dafür zu kämpfen, sich Weiblich Konnotiertes anzueignen oder zumindest grundsätzlich Weiblich Konnotiertem mit mehr Wertschätzung gegenüberstehen.)) Doch im Gegensatz zur Frauenbewegung, die dafür gekämpft hat, dass alle Frauen Hosen tragen dürfen und dieses Recht inzwischen selbstverständlich im Mainstream verankert ist ((Natürlich gibt es da Ausnahmen. Besonders auf Festen, auf denen ein eleganter Kleidungsstil erwartet wird, ist der Druck, ein Kleid oder einen Rock anzuziehen, extrem hoch und es ist äußerst unüblich, eine Hose zu tragen (z.B. als Braut auf einer Hochzeit). Während es für Frauen allerdings unüblich ist eine Hose zu tragen, ist es für männer undenkbar, ein Kleid zu tragen, und wenn doch wer es mal tut, dann wird es in den allermeisten Fällen als skandalös bis untragbar betrachtet werden.)), gibt es ein solches Recht für männer nicht und auch keine Bewegung, die sich dafür einsetzt. Wieso haben die meisten männer kein Bedürfnis danach, einen Rock zu tragen, während Frauen so hart dafür gekämpft haben, Hosen anziehen zu dürfen? Sind Hosen wirklich so viel praktischer als Röcke, haben Hosen einfach das Zeug zum „neutralen“ Kleidungsstück im Gegensatz zu Röcken und Kleidern? Wohl kaum. Schließlich gibt es mehr als genug Gesellschaften auf dieser Erde, in denen männer Röcke und Kleider tragen, die als männliches Kleidungsstück gelten, und das, weil sie praktisch sind oder gut aussehen. ((Was natürlich nicht heißt, dass, nur weil in diesen Gesellschaften bestimmte Kleider und Röcke männerkleidung sind, eine Abwertung Weiblicher Kleidung, um die es in diesem Text gehen soll, nicht stattfindet.))

Meine These dazu ist, dass der große Unterschied zwischen Frauen, die Hosen, und männern, die Kleider und Röcke tragen wollen, ist, dass es für Frauen anmaßend war, eine Hose zu tragen, während es für männer eine Demütigung war und ist, einen Rock oder ein Kleid anzuziehen. Während sich Frauen die Teilnahme an einem Privileg erstritten haben, wäre es für männer eine Erniedrigung. Als Mann Frauenkleidung zu tragen, ist peinlich. Dass Frauenkleidung jedoch auch allgemein nicht den gleichen Wert wie männerkleidung hat, erleben besonders trans Frauen deutlich. Während trans männer zwar auch Diskriminierung erfahren, wird es ihnen äußerst selten passieren, dass sie für die Kleidung, die sie tragen, verspottet werden. Bei trans Frauen allerdings ist das alltäglich. ((Dieses Phänomen wird Transmisogynie genannt und ist eine intersektionale Diskriminierungsform.))

Jedoch ist nicht nur das Tragen von Frauenkleidung für einen Mann beschämend: „Effeminiert“ ist bis heute ein Schimpfwort für männer, die Weibliche Verhaltensweisen an den Tag legen oder ihren Körper auf eine Weibliche Art und Weise gestalten. Frauen haben sich erkämpft, dass sie nicht mehr so stark darauf achten müssen, ja nicht (zu) männlich aufzutreten. Dass das aber auch eher verziehen werden konnte als umgekehrt, hängt auch damit zusammen, dass männlichkeit im Gegensatz zu Weiblichkeit grundsätzlich positiv konnotiert ist und als erstrebenswert betrachtet wird. So musste auch ich als cis Mädchen eher aufpassen, mich meinem Vater gegenüber nicht zu sehr „wie ein Mädchen“ zu verhalten ((Fairerweise muss ich hier anmerken, dass dieser Vorwurf teilweise im Kontext seiner leider fehlgeleiteten Versuche fiel, mich „geschlechterneutral“ zu erziehen, also auch mit mir „jungssachen zu machen“. Wenn ich dann nicht begeistert reagierte, wurde er gerne ungeduldig und warf mir dann vor zu Mädchenhaft zu sein. Jedoch erntete ich diesen Vorwurf auch immer dann, wenn ich Dinge nicht so machte, wie er es wollte oder etwas nicht begriff oder nicht hinbekam oder wenn ich weinte.)) – also weder „wie ein Mädchen“ Steine zu werfen oder „wie ein Mädchen hysterisch herumzukreischen“ als darauf zu achten, nicht zu selbstbewusst oder zu mutig oder halsbrecherisch oder übermütig zu sein. Natürlich hat diese positive Bezugnahme auf männliches bei Frauen ihre Grenzen, sonst wären Beleidigungen wie „mannsWeib“, „Emanze“ oder „Kampflesbe“ inzwischen aus der Mode – was sie beileibe nicht sind. Während ich also gleichzeitig darunter litt, einem von mir wahrgenommenen Ideal von Weiblichkeit nicht zu entsprechen, als auch versuchte, ja nicht zu Mädchenhaft zu sein und eine gewisse Form von Weiblichkeit verachtete, mussten die jungs in meiner Klasse interessanterweise ähnliches: nämlich ja nicht „schwul“ wirken. Dabei ist meiner Meinung nach gemeint, nicht Mädchenhaft zu sein beziehungsweise Weiblich aufzutreten. ((Denn Schwulenbewegungen haben gängige männlichkeitsideale schon immer auch auf den Kopf gestellt (allein dadurch, dass als mann einen mann zu begehren, bereits unmännlich war). Außerdem war und ist die Aneignung Weiblich konnotierter Verhaltensweisen und Körpergestaltungen schon immer Teil schwuler Kultur. Hier greifen Misogynie und Homofeindlichkeit ineinander.)) Anders gesagt: Frauen kann mann Weibliches Verhalten gerade noch verzeihen, die können halt nicht anders. Männern jedoch wird dieser Bonus nicht zugestanden. Mehr als das, Weibliche Züge an den Tag zu legen, bedeutet auch, seine männlichkeit zu verlieren, und das ist offensichtlich nichts Gutes. Wäre Weiblichkeit erstrebenswert oder genauso positiv konnotiert wie männlichkeit, müssten sich männer nicht so davor fürchten.

Freud hat in seiner Analyse zur Kastrationsangst und zu seiner Konstruktion eines angeblichen „Penisneides“ die Verachtung alles Weiblichen unserer patriarchalen Gesellschaft unbewusst perfekt auf den Punkt gebracht – auch wenn das nicht seine Intention war: Frauen sind seiner Meinung nach kastrierte männer und beneideten deshalb männer um ihren Penis und seien psychisch fragiler. Männer wiederum hätten Angst vor der Kastration, weil sie dann genau das würden, was Frauen durch Geburt bereits seien. ((Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Penisneid. Eine sehr unterhaltsame feministische Auseinandersetzung mit Freuds Penisneid findet sich bei Luce Irigaray: Speculum, Spiegel des anderen Geschlechts (1974), Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1980.)) Bleiben wir in dieser Metapher, könnte mensch sagen, dass Frauen sich durch das Tragen von Hosen einen Penis erstritten haben, während männer nur die Kastration erwartet, wenn sie für das Recht auf das Tragen von Röcken und Kleidern kämpfen. Die Verachtung alles Weiblichen, die Freud bereits vor circa 100 Jahren aus Versehen entlarvt hat, hat bis heute ihre Gültigkeit bewahrt und ist immer noch tief in unserer Gesellschaft verankert. ((Übrigens auch in der feministische Szene, in der es oft durch die Auflehnung gegen eine aufgezwungene Geschlechterrolle zu einer Abwertung alles Femininen und einer Verklärung des maskulinen gekommen ist und immer noch oft kommt. In dieser Logik wird dann häufig männliche Kleidung und männliches Verhalten als neutral und gut betrachtet, während Dinge, die mit Weiblichkeit konnotiert sind, als aufgesetzt und künstlich und als das betrachtet werden, das Frauen daran hindert, frei zu sein.)) Wer nun als gelesener Mann ((Wer Mann ist, bleibt dabei der Zuordnung von außen vorbehalten. Menschen werden also diesem Club automatisch entweder als zugehörig oder als nicht zugehörig zugeordnet.)) es wagt, Weiblichkeit zu zeigen, verstößt gegen die männliche Etikette und büßt seinen männlichkeitsstatus ein, er*sie wird aus dem männerclub verstoßen. Damit verlässt er*sie die geschützte Sphäre privilegierter männlichkeit und gehört fortan zum Kreis derer, die gefährdet sind, Opfer von Übergriffen durch männliche männer zu werden. Wer also dazugehören will zu dieser Clique, muss einen hohen Preis zahlen: die Bekämpfung und Unterdrückung jeglicher Weiblichkeit bei einem selbst und bei anderen der männerclique zugeordneten Menschen sowie die Verachtung gegenüber allen, die der Clique nicht angehören. Oder freudsch ausgedrückt: den Schutz des Penisses vor Kastration um jeden Preis.